Diät-Rausch - so nimmt Amerika ab

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Hamburger Abendblatt erschienen am 14. Feb 2004 in Aus aller Welt

Diät-Rausch - so nimmt Amerika ab
Die Zauberformel heißt "low carb" - wenig Kohlenhydrate. Dafür Eier so viele man will und Big Mac ohne Brötchen. Millionen machen mit. Schwappt die neue Welle jetzt auch nach Deutschland über?

Von Cornel Faltin

Washington - Bis vor kurzem noch saß Stacey Bartlett auf einer Goldader. Ihr Bagel-Laden im Washingtoner Nobelviertel Georgetown "lief einfach super", sagt sie. Morgens und mittags rissen ihr die Kunden die typisch amerikanischen Brötchen mit dem Loch in der Mitte buchstäblich aus der Hand. Doch damit ist es vorbei. Jetzt kommt Stacey Bartlett "gerade noch über die Runden". Ihre beiden Angestellten musste sie entlassen. Denn plötzlich sind Bagels out in Amerika, so wie andere Backwaren auch. Ganzen Bäckereiketten und Brotfabriken droht das Aus.

Der Grund: Die Amerikaner sind wieder einmal von einem Diät-Fieber erfasst worden. Dieses trägt den Titel "Low Carb", was so viel heißt wie "wenig Kohlenhydrate". Und das wiederum bedeutet, vor allem Backwaren zu meiden. Die Lebensmittelindustrie hat bereits reagiert: In den Regalen der Supermärkte ist mittlerweile kaum noch ein Produkt zu finden, das die Hersteller nicht mit einem "Low Carb"-Hinweis versehen haben. Umfragen haben ergeben, dass sich bereits 50 Millionen Amerikaner, das heißt jeder Sechste des 300 Millionen-Volkes, an einer "Low Carb"-Diät versucht haben. Unter ihnen der Ex-Präsident Bill Clinton, der damit elf Kilo abgenommen hat.

Ursprünglicher Auslöser für die neue Ernährungsbewegung und den Drang nach möglichst wenig Kohlenhydraten war Diät-Guru Dr. Robert Atkins. Der Amerikaner hatte schon 1972 mit seiner "Diät-Revolution" Kollegen und Schwergewichtige verblüfft, als er verkündete, dass man die lästigen Pfunde loswerden kann, wenn man so viel Eier und Fleisch isst wie man mag, aber auf alle kohlenhydrathaltigen Lebensmittel verzichtet. Wenngleich die Atkins-Diät auch heute in den USA noch viele Anhänger hat, ist indes die Ursache für den derzeitigen "Low carb"-Rausch in dem Buch "The South Beach Diet" (Die South Beach Diät) zu sehen. Es steht seit seiner Erstveröffentlichung im April vergangenen Jahres an der Spitze der Bestsellerlisten. Mehr als fünf Millionen Exemplare gingen alleine in den USA über die Ladentische.

Beherrschte früher auf Partys das Wetter den Smalltalk, so gibt es heute nur ein Thema - "The South Beach Diet". Inzwischen wurde die neue Diät-Bibel auch für den südamerikanischen Markt ins Spanische übersetzt. Die deutsche Ausgabe soll in einer Startauflage von 20 000 Stück nächste Woche erscheinen.

"The South Beach Diet" ist eher ein Zufallsprodukt. Der Kardiologe Arthur Agatston wollte nach eigenem Bekunden eigentlich nur eine Diät für seine Patienten erstellen, die an Koronarerkrankungen litten. Der in Miami-South Beach ansässige Arzt entwickelte eine Diät, die im Gegensatz zu jener von Atkins zwischen guten und schlechten Fetten unterscheidet. So erlaubt Agatston beispielsweise Olivenöl oder Nüsse, warnt jedoch vor tierischen Fetten und gesättigten Fettsäuren. Kohlenhydrate verdammt der Kardiologe im Gegensatz zu dem im vergangenen Jahr gestorbenen Atkins nicht grundsätzlich. Auch hier unterscheidet Agatston zwischen guten und schlechten "carbs". Der Arzt propagiert gute Kohlenhydrate wie Früchte, Gemüse und Vollkornprodukte und verbietet schlechte wie Nudeln oder Brot aus weißem Mehl, Kartoffeln oder Zucker.

Der Kardiologe aus Miami kopierte die von ihm entwickelte Diät für seine Patienten. Vom Resultat war Agatston selbst überrascht: "Die Blutwerte meiner Patienten verbesserten sich durch die Diät dramatisch. An Gewichtsabnahme dachte ich erst in zweiter Linie, obwohl viele der Patienten übergewichtig waren", erzählt er. Als die Patienten merkten, dass sie als "Nebenprodukt" verhältnismäßig schnell Gewicht abnahmen, gaben sie die Diätformel weiter an Freunde. Und als die Medien davon Wind bekamen, wurde der Geheimtipp schnell zum Bestseller. Gewichtsverluste von sechs bis zehn Kilo in einem Monat, ohne sich zu kasteien und das ohne die üblichen Jojo-Diäten sorgten im Nu für eine Millionengefolgschaft.

Die Lebensmittelindustrie und Landwirte wurden von dem Erfolg des Buches überrascht - und von den Folgen. Zu den großen Gewinnern gehören Eierproduzenten und Rinderfarmer. Die Eierpreise in den USA haben sich seit dem letzten Jahr teilweise verdoppelt und sind auf ihrem höchsten Stand seit über 20 Jahren. Das Angebot kann die Nachfrage nicht mehr decken. Don Bell, Professor für Ernährungswissenschaften an der University of California: "Das Ei ist plötzlich wieder zum idealen Lebensmittel geworden, nachdem man es in den letzten 20 Jahren fast nur schlecht geredet hat." Auch der Preis für Rindfleisch ist in den vergangenen Monaten um rund 50 Prozent gestiegen.

Zu den Verlierern gehören Bauern, die Weizen anbauen, und Bäcker. Der Brotverbrauch hat sich deutlich verringert. Auch die Zitrusfrüchte-Industrie traf der Erfolg der "South Beach Diet" wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Denn Agatston warnt in seinem Buch vor dem Genuss von Orangensaft, da dieser "unheimlich viel Zucker" enthalte. 90 Prozent der Orangen in Florida, nach Brasilien der zweitgrößte Orangenproduzent der Welt, werden zu Saft verarbeitet. Für Bob Crawford, den Chef der Zitrusfrüchte-Vereinigung in Florida, "eine Katastrophe". Er und andere Mitglieder der Neun-Milliarden-Dollar-Industrie haben beschlossen, gegen Arthur Agatston zu klagen. Crawford: "Wir werden das nicht so einfach hinnehmen. Der Absatz ist alleine im letzten Jahr um fünf Prozent gefallen. Als Sofortmaßnahme will die Vereinigung eine Werbekampagne starten, die zeigen soll, dass Orangensaft gesund ist. "Tropicana", der größte Saft-Produzent der USA, hat inzwischen eine zuckerarme "Low Carb"-Orangensaft-Version auf den Markt gebracht.

Unterdessen gibt es kaum eine Lebensmittelsparte, die nicht ins "Low Carb"-Geschäft eingestiegen ist. Das erste "Low Carb"-Bier "Michelob Ultra" hat bereits 2,1 Prozent des gesamten Bierumsatzes der USA ergattert. Inzwischen haben alle großen US-Brauereien eigene Biere mit geringerem Kohlehydratgehalt im Angebot. Von "Low Carb"-Nudeln und -Pizza über "Low Carb"-Süßigkeiten und -Eiskrem bis hin zu "Low Carb"-Pommes gibt es nichts, was es nicht gibt.

Auch fast alle Fast-Food-Ketten wie McDonald's, Burger King oder Wendys haben ihr Angebot längst auf die "Low Carb"-Lust der Amerikaner eingestellt. Statt fetter Hamburger mit Pommes gibt es Salate mit gegrillter Hühnerbrust. Wer doch nicht auf seinen Big Mac verzichten will, bekommt ihn auf Wunsch auch ohne Brötchen. Auch die meisten Restaurants haben inzwischen spezielle "Low Carb"-Gerichte auf ihren Speisekarten. Jonathan Tisch, Präsident der Luxus-Hotelkette "Loews", fand durch Befragungen heraus, dass ein Viertel seiner Gäste "Low Carb"-Menüs will.

Nun denkt auch Bagel-Händlerin Stacey Bartlett intensiv darüber nach, wie sie auf den Massentrend reagieren soll. "Low Carb"-Bagel, die es inzwischen natürlich auch gibt, will sie allerdings nicht anbieten. Die Geschäftsfrau: "Die schmecken nach Pappe, einfach ekelhaft." Und ein wenig sarkastisch fügt sie hinzu: "Ich könnte vielleicht ein ,Low Carb'-Restaurant aufmachen, aber dann kommt wahrscheinlich ,Low Carb' plötzlich aus der Mode.'"

Da allerdings ist Harry Balzer, der Autor des jährlich erscheinenden Berichtes "Essgewohnheiten in Amerika", etwas anderer Meinung. Der Wissenschaftler: "Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine Diät solch einen Einfluss auf nationale Trends hat."

Quelle

Toddy
 
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