Low Fat oder Low Carb?

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Toddy

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Jahrzehntelang galt eine fettarme Ernährung als goldener Weg zu Schlankheit und Gesundheit. Doch jetzt gewinnen die Anhänger einer kohlenhydratarmen Kost zusehends an Boden. Ein Blick auf ihre Argumente und die wissenschaftliche Datenlage.

Vergangenen Mai überraschte die amerikanische Doughnut-Kette Krispy Kreme nach Jahren der Prosperität mit einer Gewinnwarnung, worauf der Kurs ihrer Aktien massiv einbrach. Wenig später meldete der grösste amerikanische Nudelhersteller New World Pasta Insolvenz an. Auch weitere Anbieter kohlenhydratreicher Nahrungsmittel stecken in der Bredouille, seitdem in den USA die Low-Carb-Diät - «Carb» steht für «Carbohydrate», also Kohlenhydrate - immer mehr an Popularität gewinnt. Etwa 12 Prozent aller Erwachsenen sollen sie bereits befolgen. Einst durch den Kardiologen Robert Atkins eingeführt, verspricht sie eine Gewichtsreduktion durch weitgehenden Verzicht auf Kohlenhydrate - bei uneingeschränktem Konsum fett- und proteinreicher Nahrungsmittel.

Ein Dogma wankt
Doch ein derart freizügiger Umgang mit Nahrungsfetten verstösst gegen ein fest etabliertes Dogma: Seit bald drei Jahrzehnten predigen die tonangebenden Ernährungsfachleute beidseits des Atlantiks, es sei der Fettgehalt, den es auf unserem Speisezettel der Schlankheit und Gesundheit zuliebe zu reduzieren gelte. Und die Botschaft wurde gehört: In den USA ist der Fettanteil im Zeitraum von 1971 bis 2000 von mehr als 36 Prozent auf unter 33 Prozent der Gesamtenergie gesunken. Doch die Amerikanerinnen und Amerikaner wurden dabei nicht etwa schlanker, sondern immer voluminöser: Der Prozentsatz der Übergewichtigen und Fettleibigen in der Bevölkerung hat sich seit 1971 mehr als verdoppelt und beträgt mittlerweile rund zwei Drittel. In Europa liegt er noch um einiges tiefer, wächst aber rasant. In England ist er innerhalb der letzten zehn Jahre auf das Doppelte gestiegen; und in der Schweiz beträgt die mittlere Gewichtszunahme pro Person ein halbes Kilogramm pro Jahr.

Das scheinbare Paradox - Gewichtszunahme bei fettärmerer Nahrung - löst sich auf, wenn man die Menge der aufgenommenen Nahrungsenergie betrachtet: In den USA stieg sie im betrachteten Zeitraum um 22 Prozent bei den Frauen und um 7 Prozent bei den Männern. Gleichzeitig ging der Energieverbrauch durch körperliche Bewegung zurück, so dass sich die Übergewichts-Epidemie allein durch eine positive Energiebilanz erklären lässt. (Bei Debatten über die «richtige» Diät wird leicht vergessen, dass Bewegungsmangel entscheidend zur Entstehung von Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf- Krankheiten beiträgt.) Bei genauerer Betrachtung ging der Kalorienüberschuss grösstenteils auf das Konto von Kohlenhydraten, insbesondere von stärke- und zuckerhaltigen Nahrungsmitteln, die weniger nachhaltig sättigen als Fette. Die Neigung, mehr als nötig zu essen, könnte sich dadurch noch verstärkt haben.

Gerade dieses Argument führen die Low-Carb- Protagonisten für eine Einschränkung der Kohlenhydrate ins Feld. Nach der South-Beach-Diät müssen dabei vor allem Pasta, Brot, Reis, Kartoffeln und Süssigkeiten vom Speiseplan verschwinden; die extremere Atkins-Diät verlangt zudem einen weitgehenden Verzicht auf Gemüse und Obst, so dass diese Variante eine Ergänzung durch Vitaminpräparate erfordert.

Damit stehen sich zwei Standpunkte unvereinbar gegenüber: Hier die traditionelle Low-Fat- Schule, die in Europa und Übersee nach wie vor die offizielle Ernährungsszene dominiert; dort die Low-Carb-Philosophie, die auch in Europa immer mehr Anhänger findet. Nach dem Credo der einen sollen Nahrungsfette höchstens 30 Prozent des Energiebudgets decken, während Kohlenhydrate über 50 Prozent ausmachen dürfen. Die anderen wollen die Kohlenhydrate auf ein Minimum reduzieren, setzen aber dem Fett- und Proteinkonsum keine obere Grenze.

Fett ist nicht gleich Fett
Das traditionelle Plädoyer für eine fettreduzierte Ernährung ist in den letzten Jahren jedoch vor allem deshalb in Bedrängnis geraten, weil sich sein ursprüngliches Kernargument - die Herzgesundheit - wissenschaftlich nicht erhärten liess; denn für das Herz-Kreislauf-Risiko hat sich nicht die Gesamtmenge, sondern die Art der Nahrungsfette als entscheidend erwiesen. Nur gesättigte und sogenannte Trans-Fettsäuren, die unter anderem in industriell gehärteten Pflanzenfetten enthalten sind, erhöhen das Herzrisiko. Ungesättigte Fettsäuren senken es sogar. Das gilt vor allem für die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren, die besonders reichlich in Fisch und bestimmten pflanzlichen Ölen vorkommen.

Bleibt als Argument die Gewichtskontrolle. Nahrungsfette führten, so die gängige Doktrin, wegen ihrer hohen Energiedichte zu Übergewicht und begünstigten damit auch Folgeerkrankungen wie Diabetes und koronare Herzleiden. An der empfohlenen 30-Prozent-Limite für die Gesamtheit der Nahrungsfette wurde daher bis heute nicht gerüttelt. Doch dass das verbleibende Energiebudget schwerpunktmässig durch «komplexe» Kohlenhydrate und damit vor allem stärkehaltige Nahrungsmittel gedeckt werden soll, stösst auf wachsende Skepsis.

Denn wie bei den Fetten beginnt man auch bei den Kohlenhydraten zu differenzieren und Untergruppen abzugrenzen, die sich auf die menschliche Physiologie unterschiedlich auswirken. Je nachdem, wie schnell die Kohlenhydrate in ihre Zuckerbausteine aufgespalten werden, treiben sie den Blutzuckerspiegel mehr oder weniger rasch in die Höhe. Ein hoher Blutzuckerspiegel kurbelt die Ausschüttung von Insulin an, das seinerseits dafür sorgt, dass Muskel- und Leberzellen den überschüssigen Zucker als Glykogen speichern. Werden diese Zellen jedoch ständig mit Zucker überflutet, erlahmt ihre Tendenz, auf das Insulinsignal zu reagieren, so dass der Blutzuckerspiegel immer langsamer absinkt. Eine solche Insulinresistenz bildet den ersten Schritt zur Entwicklung des Diabetes Typ 2, eines wachsendes Problems in allen Industrienationen. Sie ist ferner Zeichen des metabolischen Syndroms, das als Kombination mehrerer Stoffwechselstörungen das Herz-Kreislauf-Risiko massiv erhöht.

Kohlenhydrate sollten deshalb nach ihrer Wirkung auf den Blutzuckerspiegel beurteilt statt wie bisher nach ihrer chemischen Struktur in die Kategorien «einfach» und «komplex» eingeteilt werden. Als Messgrösse für diese Wirkung gilt der glykämische Index (GI) und Glukose mit Index 100 als Referenz. Die Werte kohlenhydratreicher Nahrungsmittel liegen in der Regel umso höher, je stärker deren Ingredienzien raffiniert sind. Im oberen Segment finden sich beispielsweise viele Softdrinks, Weissbrot, Pasta und Kartoffeln, während viele Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse und Früchte im unteren Bereich (GI‹55) rangieren. Der GI kann allerdings je nach Zusammensetzung einer Mahlzeit variieren; fettreiche Zutaten senken ihn tendenziell.

Bei Diabetikern schon lange Bestandteil der diätetischen Behandlung, kommt der GI jetzt auch bei Gesunden ins Spiel. Bereits spricht einiges dafür, dass eine Ernährung mit hohem GI das Diabetes- und Herzrisiko erhöht. Komplizierter erscheint der Zusammenhang zwischen GI und Körpergewicht. Zwar zeigen Laboruntersuchungen, dass ein hoher GI die Aktivität Fett-oxidierender Enzyme und damit den Abbau von Körperfett hemmt und ein tiefer GI die Fett-Oxidation begünstigt, doch ist die praktische Bedeutung dieser Mechanismen, die von der Low-Carb- Schule gerne thematisiert werden, noch umstritten. Dagegen scheint sich die Vermutung zu bestätigen, dass der GI die Sättigung und damit das Essverhalten beeinflusst: Je höher der GI einer Mahlzeit, desto höher auch die Kalorienaufnahme bei nachfolgenden Mahlzeiten und zwischendurch.

Ein erster direkter Vergleich
Doch zurück zur Low-Fat-Low-Carb-Debatte. Letztlich interessiert natürlich, welche der beiden Ernährungsweisen in der Praxis die besseren Resultate erzielt. In den letzten Monaten wurden die beiden Diätformen erstmals in vier randomisierten Studien direkt miteinander verglichen. Übereinstimmend ergab sich, dass die Low-Carb- Gruppe in den ersten sechs Monaten stärker an Gewicht verlor als die Low-Fat-Gruppe; doch glich sich diese Differenz nach einjähriger Beobachtungszeit wieder aus. Interessanterweise wirkte sich aber eine kohlenhydratreduzierte (und fettreiche) Diät auf wichtige Herzrisikofaktoren günstiger aus als eine fettarme Kost: Der Blutspiegel der Triglyceride fiel markant, und jener des «guten» HDL-Cholesterins erhöhte sich leicht. Schliesslich war die Drop-out-Rate unter dem Low-Carb-Regime geringer als in der Vergleichsgruppe.

Eine Low-Carb-Ernährung scheint also durchaus gewisse Vorteile zu bieten. Diäten mit reduziertem Kohlenhydratanteil sollten deshalb nicht länger pauschal verteufelt, sondern in die wissenschaftliche Agenda aufgenommen werden, mahnen angesehene Fachleute wie Walter C. Willett von der Harvard School of Public Health und Sylvan L. Weinberg, der ehemalige Präsident des American College of Cardiology. Noch bleiben freilich viele Fragen offen. Wie wirken sich etwa kohlenhydratreduzierte Diäten längerfristig auf das Körpergewicht und die Blutfettwerte aus? Wie sicher sind sie? Im Fall der extrem proteinreichen Atkins-Diät wird beispielsweise die Sorge geäussert, sie könne langfristig Nieren und Knochen schädigen. Da die erwähnten Vergleichsstudien zudem gezeigt haben, dass sich die beiden Diätformen individuell höchst unterschiedlich auswirken, wäre es denkbar, dass je nach erblicher Veranlagung für die einen «Low Carb», für die anderen dagegen «Low Fat» die beste Lösung bedeutet.

Quelle: http://www.nzz.ch
 
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