Was, wenn alles bloss eine dicke, fette Lüge ist?

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Joey

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Der Artikel ist zwar schon was älter, aber ich finde ihn trotzdem sehr gut!

Jetzt beginnen die fetten Jahre

Von Jutta von Campenhausen
Wer sich gesund ernähren will, muss umdenken: Nicht Butter und Speck, sondern Brot und Kartoffeln machen krank und dick. Das Dogma vom bösen Fett wankt.

Mediziner nennen es das tödliche Quartett: Bluthochdruck, zu viel Insulin, erhöhte Blutfett- und zu hohe Blutzuckerwerte. Die fatale Kombination lässt Adern verstopfen und führt so zu Herzinfarkt, der Todesursache Nummer eins in der westlichen Welt – und zu Hirnschlägen, der häufigsten Ursache von Invalidität in der Schweiz. Dabei liessen sich nach Schätzungen der Herzstiftung bis zu fünfzig Prozent der Todesfälle durch richtige Ernährung verhindern. Bloss: Welches ist die richtige Ernährung?

Darüber ist ein Grundsatzstreit ausgebrochen. Gemeinhin wird gesundes Essen noch immer mit fettarmem gleichgesetzt. «Fett macht fett», lautet das Dogma, und besonders tierische Fette stehen im Ruf, die Blutwerte gefährlich zu verändern. Kohlenhydrate aus Brot, Kartoffeln, Reis und Nudeln dagegen gelten als harmlos und machen angeblich nur fit und satt.

Doch die alte Lehre vom bösen Fett wankt. Wie grotesk die Datenlage ist, beschrieb die amerikanische Wissenschaftszeitschrift Science bereits im März 2001: Keine der grossen Studien der amerikanischen National Institutes of Health (NIH) hatte belegen können, dass eine fettarme Diät tatsächlich vor Herzinfarkt schützt. Mehr noch: Die vorhandenen Daten suggerieren das Gegenteil. Fett scheint seine Konsumenten vor Herzkrankheiten zu schützen – eine fettarme Diät dagegen erhöht offenbar die Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauf-Probleme.

Viel gutes Fett im Steak

Also doch besser Butter, Speck und Eier zum Frühstück statt Brot und Müesli? Solch ketzerische Vorschläge, von einzelnen wenigen Wissenschaftlern als gesundheitsfördernd propagiert, wurden vom wissenschaftlichen und politischen Establishment bisher ignoriert. Doch jetzt ist der Glaubenskrieg um die richtige Ernährung öffentlich geworden. Kürzlich titelte das Sonntagsmagazin der New York Times: «Was, wenn alles bloss eine dicke, fette Lüge ist?»

Dafür spricht einiges. Denn für die gängige Empfehlung, fettes Fleisch zu meiden, gibt es erstaunlicherweise keine wissenschaftliche Grundlage. Ein Steak etwa besteht zur Hälfte aus Eiweiss, zur anderen Hälfte aus dem verteufelten Tierfett. Doch wiederum die Hälfte davon gehört zum «guten», einfach ungesättigten Fett, das genau wie das gern empfohlene Olivenöl die Konzentration an «schlechtem» Cholesterin im Blut nachweislich senkt. Die anderen fünfzig Prozent Fett im Steak sind zwar gesättigt, aber auch da muss man differenzieren: Ein Drittel davon ist Stearinsäure – ein Fett, das die Werte des «guten», herzschützenden Cholesterins erhöht. Gemessen am gesamten Fettanteil im Fleisch, bleiben also nur etwa dreissig Prozent «böser» Fette übrig.

Amerikaner sind kränker und dicker

«Das deutet darauf hin, dass es bei einem Herzkrankheitsrisiko besser ist, ein Steak zu essen statt Kohlenhydrate», folgert Gary Taube, der Autor der Artikel in der New York Times und in Science. Doch die Beratungspraxis sieht anders aus. Die Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SVE) empfiehlt genau wie ihr deutsches Pendant, nur 25 bis 30 Prozent der Gesamtenergie aus Fett aufzunehmen. Ein Wert, der trotz aller Anti-Fett-Propaganda nicht eingehalten wird: «Derzeit isst der Durchschnittsschweizer 110 Gramm Fett am Tag; das entspricht gut 35 Prozent der Kalorien», sagt Monika Müller, Ernährungsberaterin bei der SVE. «Doch die Frage, wie sich Fett vermeiden lässt, beschäftigt die Menschen sehr.» Das könnte ein Fehler sein, wie das Beispiel aus den USA zeigt.

Die gesundheitsfanatischen Amerikaner setzen gängige Ernährungsempfehlungen eifrig um. Seit in den siebziger Jahren Fett zum Herzfeind Nummer eins erklärt wurde, sind 15000 Low-fat- und No-fat-Produkte auf den US-Markt gekommen. Während Fett damals durchschnittlich 40 Prozent der Nahrungsenergie lieferte, sind es heute nur noch 34 Prozent. Doch das hat die Amerikaner nicht gesünder gemacht, im Gegenteil: Im gleichen Zeitraum vervierfachte sich die Menge medizinischer Aktionen wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Anteil von krankhaft übergewichtigen Amerikanern stieg von 14 auf 22 Prozent, und Diabetes nahm epidemisch zu.

Irgendetwas scheint mit dem angeblich «gesunden» Essen nicht zu stimmen – das belegen auch kontrollierte Studien. Seit zwanzig Jahren sammelt die Harvard School of Public Health Daten über die Ernährung und den Gesundheitszustand von fast 300000 Frauen.

Ergebnis: Drei grosse Studien, die «Nurses’ Health Study» und ihre zwei Nachfolgeuntersuchungen, konnten nicht beweisen, dass Fettkonsum ein Risiko für Herzkrankheiten birgt. Vielmehr haben Frauen, die kaum tierisches Fett essen, laut den Studien ein doppelt so grosses Schlaganfall-Risiko wie Frauen mit mittlerem Fettkonsum.

Trotzdem zogen die NIH, die die Studien mit hundert Millionen Dollar finanziert hatten, keine Konsequenzen aus den unerwarteten und offenbar unwillkommenen Resultaten. Um die Ernährungsempfehlungen zu ändern, seien «hochwertige Beweise» notwendig, hiess es zur Begründung. «Skandalös» findet das Walter Willett, Leiter der «Nurses’ Health»-Studie. «Um die herkömmlichen Empfehlungen herauszugeben, brauchten sie auch keine hochwertigen Beweise.»

Alle Bemühungen, die Richtlinien zu verbessern oder wenigstens auf eine solide Datenbasis zu stellen, verliefen im Sande. Eine Kommission des US-Gesundheitsministeriums, die einen wissenschaftlichen Bericht über die Schädlichkeit von Nahrungsfett schreiben sollte, musste ihre Arbeit nach elf Jahren ohne Ergebnis einstellen. So gibt es selbst für die Verpflegung von Herzpatienten in den USA noch immer keine wissenschaftlich basierte Empfehlung, und die Legende vom gesunden Fettreduzieren wird weiter mit fast religiösem Eifer verkündet.

Überalterte Professoren

«Es ist ein Skandal, dass dicke Menschen von staatlich geförderten Stellen Kohlenhydrate empfohlen bekommen», sagt Nikolai Worm, Münchner Ernährungswissenschaftler: «Selbst viele Professoren wissen nicht, dass die Datenlage dagegen spricht – die anderen haben nicht die Grösse einzugestehen, dass die Anti-Fett-Lehre falsch ist. Das Problem muss biologisch gelöst werden: Die alten Lehrstuhlinhaber müssen abtreten. Die jüngeren sind aufgeschlossener.»

Während jedes Medikament vor seiner Zulassung umfassend getestet wird, geraten Diäten auch ohne einen Beleg für ihre Wirksamkeit an die Öffentlichkeit. Zwar gibt es eine Flut an ernährungswissenschaftlichen Arbeiten, doch die «Evidenz» fürs Fettsparen ist dürftig. So ziemlich jede These lässt sich mit einer Studie belegen – entscheidend ist aber die Qualität dieser Studien. Eine Analyse von 16821 Forschungsarbeiten zum Thema Fett und Gesundheit ergab, dass nur 27 auf soliden Zahlen basierten. Doch auch korrekt geführte Untersuchungen werden missbraucht. Nachdem fünf grosse, von den NIH geförderte Studien den Nutzen einer fettarmen Diät nicht beweisen konnten, lieferte eine sechste, die 140 Millionen Dollar kostete, endlich ein erwünschtes Ergebnis: Sie bewies die herzschützende Wirkung eines cholesterinsenkenden Medikaments – allerdings nur bei Männern mittleren Alters mit krankhaft erhöhtem Cholesterinspiegel. Die NIH folgerten daraus, dass eine cholesterinsenkende Diät den gleichen Effekt habe wie das Medikament, und zwar auch bei Frauen und Gesunden. Ein komplett unwissenschaftlicher und unzulässiger Schluss.

Die Wirklichkeit ist viel zu kompliziert, als dass sie sich für so schlichte Schlachtrufe eignen würde. Tatsächlich beeinflussen weit mehr Faktoren die Blutwerte als nur das Fett. Wer den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden folgt, spart nicht nur an Butter und Fleisch – er isst stattdessen mehr Reis, Nudeln und Kartoffeln, Kohlenhydrate eben. Sie haben weniger Kalorien als Fett und den Ruf, satt zu machen. Bewiesen ist aber nur: Kohlenhydrate werden im Magen in ihre Bestandteile aufgespalten und gelangen als Zucker ins Blut.

Vollkornprodukte erhöhen den Blutzucker dabei sanft und verzögert – Zucker, weisses Mehl und Kartoffeln hingegen schnell und dramatisch. Ist der Blutzucker einmal erhöht, antwortet der Körper mit dem Ausschütten des Hormons Insulin. Es veranlasst die Zellen in Muskeln und Leber, den Zucker aus dem Blut zu fischen und zu Energie zu verbrennen.

Jedes Jahr mehr Zuckerkranke

Das hat auch Folgen für den Fettstoffwechsel: Denn wenn der Körper Insulin ausschüttet und Kohlenhydrate zu Energie verbrennt, wird vorhandenes Fett nicht abgebaut, sondern gespeichert. Sind hingegen keine Kohlenhydrate da, so ist der Insulinspiegel niedriger, und der Körper verbrennt das Fett. Wenn also ein Butterbrot dick macht, liegt das eher am Brot als an der Butter.

Fettarme und kohlenhydratreiche Diäten machen aber nicht nur dick – sie haben einen weiteren sehr beunruhigenden Effekt: Sie verschlechtern die Blutwerte und erhöhen damit das Risiko für Herzkrankheiten. Insbesondere für übergewichtige Menschen gilt: Je weniger Fett und je mehr Kohlenhydrate sie essen, desto ungünstiger werden ihre Blutwerte. Die «Nurses’ Health»-Studie zeigte, dass sich die Herzinfarktrate verdoppelte, wenn besonders viele Kohlenhydrate gegessen wurden.

Wird mehr Insulin ausgeschüttet, lagert der Körper mehr Fett ein. Und je fetter ein Mensch ist, desto mehr Insulin schüttet seine Bauchspeicheldrüse nach jeder Mahlzeit aus. Ein Teufelskreis. Gleichzeitig steigt mit der Insulinschwemme das Risiko, dass der Körper nicht mehr auf das Hormon reagiert: Es droht die Zuckerkrankheit Diabetes.

Schätzungen zufolge wird die Zahl der Diabetiker weltweit bis zum Jahr 2025 von 135 auf 300 Millionen steigen. In der Schweiz leiden 350000 Menschen unter der Zuckerkrankheit, und jedes Jahr werden es 1,5 Prozent mehr. In den USA reagieren bereits 30 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen nach den Wechseljahren nicht mehr normal auf Insulin.

Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht, all das sind Folgen des «tödlichen Quartetts»: Bluthochdruck, Insulinüberschuss, zu hohe Blutfett- und Blutzuckerwerte. Die Mediziner fassen diese Krankheiten unter dem Namen «Syndrom X» zusammen. Seit Beginn der Fettsparwelle hat sich das beunruhigende Syndrom fast explosionsartig verbreitet.

Das lässt sich mit der Evolution erklären. Vor zweieinhalb Millionen Jahren assen unsere Vorfahren Fleisch, Fisch, Früchte, Gemüse und Nüsse. Daran hat sich die Spezies körperlich angepasst. Erst vor 10000 Jahren erfand der Mensch den Ackerbau und verzehrte mit den ersten dünnen Ähren pure Kohlenhydrate. Körperlich weiterentwickelt hat er sich dabei nicht. Unser Stoffwechsel ist immer noch auf das Mammutsteak ausgerichtet und nicht auf massenhaften Brotkonsum. «Ein Mammut auf den Teller» fordert deshalb Nikolai Worm in seinem Buch «Syndrom X».

Es sieht sogar so aus, als hätte auch Dr. Atkins Recht. Der populäre Doktor veröffentlichte 1972 seine «Diätrevolution» – ein Konzept, das Fleisch, Fett und Eier unbegrenzt erlaubt, aber Kohlenhydrate verbietet. Für das ketzerische Werk musste er sich sogar vor dem amerikanischen Kongress verantworten und galt als Quacksalber. Doch seine Kardiologenpraxis in Manhattan wurde zur boomenden Diätklinik.

Fetter essen, weniger wiegen

Heute deutet alles darauf hin, dass Atkins mit seinen simplen Thesen nicht so weit neben der Wahrheit liegt. Die Einschätzungen von Experten gehen aber immer noch auseinander: «Atkins’ Diät funktioniert kurzfristig, ist aber auf längere Dauer nicht praktikabel und auch nicht sinnvoll», sagt etwa Paolo Suter, Privatdozent und Leiter der Bluthochdruck-Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich. «Solche Diäten können zur Gewichtsabnahme sinnvoll sein. Es reicht, die Zufuhr an Kohlenhydraten zu minimieren und genug Proteine zu essen, um vermehrt eigenes Fett zu verbrennen.» Allzu fettreiches Essen aber sei nicht empfehlenswert, weil es die Verbrennung der eigenen Fettreserven reduziere, sagt Suter. Wichtig sei besonders das Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten. «Vor allem sollten schnelle Kohlenhydrate vermieden werden, um optimale Voraussetzungen für den Fettabbau zu schaffen. Es ist eine Frage der Balance. Zu viel Fett ist schädlich, aber eine gewisse Menge ist lebenswichtig.»

Schweineschmalz gegen Herzinfarkt

Der Forscher Pete Ahrens von der Rockefeller University in New York fürchtet, dass das vernünftige Mass an Fett von Gesundheitsfanatikern unterschritten wird. Immerhin besteht unser Gehirn zu siebzig Prozent aus Fett. Fett isoliert unsere Nervenbahnen, und jede Zelle unseres Körpers ist von einer Membran umschlossen, die hauptsächlich aus Fett aufgebaut ist. Wer kaum noch Rahm, Öl und Fleisch isst, so fürchtet Ahrens, könnte langfristig seine Zelloberflächen verändern und damit den Transport durch die Membranen für Zucker, Eiweisse, Hormone, Bakterien und Viren beeinträchtigen.

Ob solche weitgehend unerforschten Risiken fettarmen Essens den spärlichen Nutzen wettmachen, können nur langwierige und teure Endpunktstudien zeigen. Sie gehen nicht bloss den kurzfristigen Veränderungen von Gewicht und Blutfetten nach, sondern begleiten die Testesser bis zu ihrem Tod. Schliesslich könnte es sein, dass Menschen mit «ungünstigen» Blutwerten länger leben und «gesunde» Kost das Leben verkürzt. Ob sich das Fettsparen wirklich lohnt, zeigen erst Lebensspanne und Todesursache im Vergleich mit den Sterbedaten nach anderen Diäten. Forscher der Universität von Minnesota untersuchten in Japan den Zusammenhang von Cholesterinlevel und Todesursachen. Dabei stellten sie fest, dass niedrige Cholesterinwerte einhergingen mit einem erhöhten Sterberisiko durch Krankheiten ausserhalb des Herz-Kreislauf-Bereichs.

David Ludwig von der Harvard-Universität therapiert übergewichtige Kinder seit fünf Jahren mit einer extrem kohlenhydratarmen Diät. Damit ist er so erfolgreich, dass dicke Kinder neun Monate lang auf einen Therapieplatz warten müssen. Nachdem seine Anträge für eine Studie bei den NIH dreimal abgelehnt wurden, gab es dieses Jahr eine kleine Revolution: Die Nationalen Gesundheitsinstitute stellten im April 1,2 Millionen Dollar für eine fundierte Untersuchung zur Verfügung, die die kohlenhydratarme mit einer fettarmen Ernährung vergleicht. Die Aussichten, dass das Anti-Fett-Dogma stürzt, stehen gut.

Nur die Briten sind schon weiter. Der britische Diätverband hat für Herzinfarktpatienten Ernährungsleitlinien entwickelt, deren herzschützende Wirkung wissenschaftlich gesichert ist: Er empfiehlt nach einem überstandenen Infarkt «mediterrane Kost». Das heisst erstens: viel fetten Fisch, Obst und Gemüse. Und zweitens: gesättigte Fettsäuren nicht durch Kohlenhydrate ersetzen, sondern durch ungesättigte. Dazu gehören Oliven- und Raps- und Erdnussöl ebenso wie Schweine- und Gänseschmalz.
 
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