Gicht ist eine entzündliche Reaktion auf Natriumurat-Kristalle. Im menschlichen Organismus bewegt sich der Harnsäurespiegel immer nahe seiner Löslichkeitsgrenze in einem Fließgleichgewicht zwischen Synthese und Ausscheidung.
HARNSÄURE-SYNTHESE
Harnsäure entsteht durch den Abbau von Purinen aus DNA. Durch zwei Hydroxylierungsreaktionen wandelt Xanthinoxidase Hypoxanthin über Xanthin zu Harnsäure um. Bei Tieren wird Harnsäure durch das Enzym Uricase mittels Öffnung des größeren der beiden Ringe weiter zum gut wasserlöslichen Allantoin abgebaut. Zwar enthält das menschliche Genom das Uricasegen noch, doch wurde es in einem Hominiden-Vorläufer durch Mutation inaktiviert. Gicht ist daher ein ausschließlich beim Menschen (oder besser noch bei Primaten) bestehendes Problem.
Offensichtlich ist die Harnsäureproduktion damit eine Funktion der Purinaufnahme. Zu purinreichen Nahrungsmitteln gehören Fleisch, speziell Innereien, Meeresfrüchte und Bier, das Guanin enthält. Auch die gesteigerte Aufnahme von Fructose durch z. B. Fructose-gesüßte Getränke oder Frühstückscerealien steigern anscheinend die Harnsäurekonzentration im Blut. Fructose wird in der Leber durch einen ATP-abhängigen Prozess metabolisiert. Ein Teil des dabei „verbrauchten“ AMP wird abgebaut, das Adenin in Harnsäure umgewandelt. Im Gegensatz dazu senken Kaffee, Milchprodukte und Vitamin C den Harnsäurespiegel.
Seit langem ist bekannt, dass sich die Harnsäurespiegel stark erhöhen. Wie wir gleich sehen werden, führt die dabei typische ketoazidotische Stoffwechsellage zu einer verstärkten Rückresorption in der Niere. Doch auch die Produktion von Harnsäure wird gesteigert, durch einen ähnlichen Mechanismus wie bei der Fructosezufuhr. Beim Fasten wird mehr ATP abgebaut, sodass AMP zu Harnsäure umgewandelt wird. Zusätzlich wird das Gleichgewicht zwischen Zelltod und Proliferation im Organismus beim Fasten Richtung Zelltod verschoben, sodass mehr DNA zur Entsorgung anfällt. Eine typische Situation, die bei unfreiwilligen Fastenern häufig zu einem Gichtanfall führt, ist eine Operation, bei der die Anästhesie eine gewisse Zeit ohne Nahrungszufuhr bedingt ist.
Bei Patienten mit Leukämie oder Lymphom, die ihren ersten Chemotherapiezyklus erhalten, führt der dadurch ausgelöste Zellabbau häufig zu massiver Hyperurikämie und einem akuten Gichtanfall.
HARNSÄURE-AUSSCHEIDUNG
Wie der Name bereits sagt, wird Harnsäure hauptsächlich über die Niere ausgeschieden, ein kleinerer Anteil über den Darm.
In der Niere werden im Schnitt etwa 10% des gefilterten Urats eliminiert, doch ist dieser Prozentsatz außerordentlich variabel. Die schließlich ausgeschiedene Menge ist das Nettoergebnis von gleichzeitig ablaufenden Reabsorptions- und Sekretionsprozessen. Im proximalen Tubulus verwenden sie Zellen SLC22A12 (Synonym: URAT1, Urattransporter 1), um filtrierte Urat-Ionen im Austausch gegen intrazellulär vorhandene organische Anionen wie Laktat oder Ketonkörper rückzuresorbieren. Bei Laktatazidose (Alkohol) oder Ketoazidose werden Laktat- oder Ketonkörper verstärkt und damit besonders viel Urat rückresorbiert: Feiern und Fasten steigern den Harnsäurespiegel und die Wahrscheinlichkeit für Gichtanfälle. In die entgegengesetzte Richtung pumpen der Purin-Nukleosidtransporter ABCG2 und der spannungsgesteuerte Transporter SLC17A3 Harnsäure zurück ins Lumen. Auf der basolateralen Membranseite transferiert die spannungsabhängige SLC2A9-Harnsäure aus der Zelle ins Blut.
Der gelöste Träger SLC2A9 wird von allen Körperzellen exprimiert. Während er Urat aus der proximalen Tubuluszelle infolge der Konzentrationsverhältnisse nur herausschleust, kann er in anderen Zellen durchaus auch Urat in die Zelle hineinschleusen. SLC2A9 ist ein Zielgen von p53, dem Wächter unseres Genoms . Vermehrte DNA-Schäden durch reaktive Sauerstoffverbindungen führen über p53 zur Induktion von SLCA2A9 und zum verstärkten Import des Radikalfängers Urat. Manches deutet darauf hin, dass der Anstieg des Harnsäurespiegels bei Primaten durch den Verlust der Funktionalität des Uricasegens dazu beigetragen haben könnte, diese durch verstärkten antioxidativen Schutz langlebiger zu machen.
Die renale Ausscheidung von Harnsäure wird stark durch genetische Faktoren beeinflusst. Es leitet sich logisch ab, dass Polymorphismen, welche die Effizienz von SLC22A12 negativ beeinflussen, die Ausscheidung von Harnsäure steigern, während Beeinträchtigungen der Transporter Richtung Lumen zu Hyperurikämie führen. Ein SNP ( Einzelnukleotid-Polymorphismus ) in ABCG2 führt zum Aminosäureaustausch Gln141Lys. Diese Substitution verändert eine konservierte Position in der intrazellulären ATP-Bindungsdomäne und reduziert die Harnsäuretransportrate des Proteins um etwa 50%. Dieses SNP ist ziemlich häufig: 10–20 % der Europäer und 30–50 % der Asiaten tragen das Allel. Ist das Allel vorhanden, verdoppelt sich in etwa das Risiko für Hyperurikämie und Gicht. Auch Austauschmutationen in SLC17A3 wurden als Ursache von Hyperurikämie und Gicht identifiziert.
Auch die (geringere) Ausscheidung von Harnsäure über den Darm läuft über den ABCG2-Mechanismus. Funktionsmindernde SNPs wirken sich damit sowohl auf die Nieren-, als auch auf die Darmausscheidung negativ aus.
Östrogene steigern die Harnsäureausscheidung, indem sie die Expression der renalen Transportproteine beeinflussen, sodass der Harnsäurespiegel bei Frauen vor der Menopause signifikant niedriger ist als bei Männern.
HYPERURIKÄMIE
Eine kritische Lücke in unserem Verständnis der Entstehung von Gicht stellt die Tatsache dar, dass nur eine Minderheit der Menschen mit Hyperurikämie tatsächlich Gichtsymptome entwickelt. Mehr als 10 % der Bevölkerung in betroffenen Ländern haben Hyperurikämie (21 % der Männer, aber nur 3 % der prämenopausalen Frauen), doch nur etwa 0,5 % entwickeln Gicht. Hyperurikämie wird durch einen Harnsäure-Serumspiegel von 6,8 mg/dl oder höher definiert, die Grenze der Löslichkeit unter physiologischen Bedingungen. Abgesehen von dieser Konzentration bilden sich irgendwo im Körper Natriumurat- ( Mononatriumurat , MSU)-Kristalle. Je höher der Serumspiegel über längere Zeiträume, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, irgendwann eine Gichtattacke zu erleiden. Hyperurikämie wird in 90 % der Fälle durch unzureichende renale Elimination verursacht.
Die Kristallbildung wird vom pH-Wert beeinflusst, von der Verfügbarkeit von Nukleationspartnern sowie von der Temperatur. Harnsäure kristallisiert leichter in der Synovia als im Plasma und Gelenkknorpel ist durch den Mangel an Durchblutung kühler als seine Umgebung, besonders in peripheren Gelenken. Die Kristallisation beginnt daher häufig in den kleinen peripheren Gelenken.
Zwar messen wir bei Patienten mit Verdacht auf Gicht routinemäßig den Harnsäurespiegel, doch helfen uns die dabei erhaltenen Laborwerte relativ wenig. Menschen mit sehr hohen Spiegeln haben oft überhaupt keine klinischen Probleme, während die Werte bei Patienten mit einem Gichtanfall häufig bereits wieder in den Normalbereich zurückgefallen sind.
Müssen wir uns überhaupt Gedanken über asymptomatische Hyperurikämie machen? Darüber hinaus ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, doch gibt es Hinweise, dass Hyperurikämie Bluthochdruck und Gefäßerkrankungen fördern könnte.
GICHT
Gichtarthritis
Eine „kristallklare“ Diagnose lässt sich stellen, wenn man das betroffene Gelenk punktiert und im Polarisationsmikroskop doppelbrechende Kristallnadeln im Aspirat findet. Aufgrund der Infektionsgefahr und anderer möglicher Komplikationen ist das Punktieren eines Gelenks jedoch nicht allzu populär. Die Diagnose stützt sich daher in den meisten Fällen auf das charakteristische klinische Bild: heftige Gelenkschmerzen, die sich innerhalb weniger Stunden entwickeln, Berührungsschmerz, Überwärmung, Rötung und Schwellung, z. B. des Metacarpophalangealgelenks des Daumens oder des Metatarsophalangealgelenks der großen Zehe. Ein solcher Gichtanfall folgt häufig in der Nacht auf ein üppiges Abendessen mit reichlich Alkohol.
Wie lösen Uratkristalle eine Entzündung aus? Die durch genetische Untersuchungen herausgearbeiteten Eckpunkte sind unkontrovers: Uratkristalle aktivieren das NALP3-Inflammasom und werfen damit Caspase 1 und die Produktion von IL-1β an. Bei näherer Betrachtung fehlen aber zahlreiche Details.
Zunächst befinden sich die Kristalle im Extrazellulärraum, während die NOD-ähnlichen Rezeptoren , die das Inflammasom bilden, im Zytoplasma angesiedelt sind. Wie sollen diese beiden aufeinandertreffen? Makrophagen nehmen die Kristalle auf, doch auch dann befinden sich die Kristalle im endosomalen Kompartment und nicht im Zytosol. NOD-ähnliche Rezeptoren sind zytosolische Sensoren, die einerseits mikrobielle PAMPs ( Pathogen-assoziierte molekulare Muster ) erkennen, andererseits die sogenannten Gefahrensignale , molekulare Veränderungen, die typisch für gefährdete Zellen sind. Notleidende Zellen verlieren häufig K + und/oder bauen RNA und DNA auf, was zur Bildung von Harnsäure führt.
Folgendes Modell könnte die Randbedingungen erfüllen: Makrophagen nehmen die Uratkristalle auf. Nach der Fusion mit sauren Lysosomen bewirkt die pH-Absenkung eine Freisetzung von Na+ aus den Kristallen. Durch die kurzzeitig gestiegene Osmolarität nehmen die Zellen Wasser auf und schwellen an. Die Absenkung des K + -Spiegels durch diese kurzzeitige Verdünnung aktiviert den NOD-ähnlichen Rezeptor NALP3. Aktivierte NALP3-Einheiten aggregieren zu einem Inflammasom, das Caspase 1 aktiviert, die ihrerseits proIL‑1β zu IL‑1β spaltet.
Allerdings erklärt auch dieses Modell weder, warum eine Gichtattacke trotz kontinuierlicher Anwesenheit von Uratkristallen nur ab und zu auftritt, noch, warum Gichtanfälle typischerweise nachts nach üppigen und alkoholischen Gelagen auftreten. Es gibt Hinweise, dass kurzzeitige Anstiege an freien Fettsäuren zur Aktivierung von Makrophagen über den Toll-like-Rezeptor 2 (TLR2) beitragen. Toll-like receptors sind eigentlich ebenfallsMustererkennungsrezeptoren , doch hat sich herausgestellt, dass TLR2 und TLR4 auch durch erhöhte Fettsäurekonzentrationen partiell aktiviert werden können. Die Kombination eines üppigen Mahls mit Alkohol ist die ideale Kombination, um die Konzentration freier Fettsäuren hochzutreiben, da Alkohol über Acetyl-CoA zu Fettsäuren metabolisiert wird. Auch die Verstärkung einer allfälligen Schlafapnoesymptomatik könnte in dieser Situation eine Rolle spielen: der hypoxiebedingt verstärkte Abbau von ATP und die gleichzeitige pH-Senkung könnten einen Gichtanfall begünstigen.
IL-1β ist nur der spektakulärste Bestandteil eines von aktivierten Makrophagen freigesetzten Cocktails, der auch TNFα, IL-6, CXCL8 (IL-8) und andere Entzündungsmediatoren enthält. CXCL8 zieht neutrophile Granulozyten an. Auch diese werden aktiviert und tragen durch Freisetzung von aktiven Sauerstoffverbindungen, lysosomalen Enzymen, Prostaglandinen und Leukotrienen zum Vollbild der Arthritis bei.
Tophusgicht
Uratkristalle können nicht nur in der Synovialflüssigkeit entstehen, sondern auch in Synovialmembranen, periartikulärem Gewebe wie Sehnen, Bändern, Bursae und an anderen Stellen des Körpers, z. B. in der Haut. Um diese Urat-Aggregate bildet sich entzündlich-reaktives Gewebe, das im Prinzip ein Fremdkörpergranulom darstellt und insgesamt als Tophus bezeichnet wird. Das reaktive Gewebe besteht aus Makrophagen, multinukleären Riesenzellen, Lymphozyten und proliferierenden Fibroblasten.
Nephropathie
Beim Plasma-pH von 7,4 liegen 98% der Harnsäure in der ionisierten Form als Urat vor. In der Nierenmark, wo der pH-Wert unterhalb des pKa der Harnsäure von 5,75 erreichen kann, ist Harnsäure mehrheitlich protoniert. In der protonierten Form ist Harnsäure weniger löslich als in der ionisierten, sodass das saure Milieu des Nierenmarks die Entstehung von Harnsäurekristallen fördert, die intratubuläre Präzipitate und interstitielle Tophi zur Folge haben können. Zusätzlich besteht bei saurem und konzentriertem Urin die Gefahr der weiteren Bildung von Harnsäure-Nierensteinen.
Bei einer akuten Harnsäurenephropathie handelt es sich um ein akutes Nierenversagen durch Verstopfung der Tubuli mit Harnsäurekristallen. Das Krankheitsbild tritt hauptsächlich bei Leukämie- und Lymphompatienten mit Tumorlysesyndrom am Beginn der Therapie auf.
Ob chronische Gicht-Nephropathie mehr als ein gelegentlicher Autopsiebefund ist, bleibt zunächst offen. Klar vorhanden hingegen ist eine chronische Nephropathie bei Patienten mit dem seltenen X-chromosomalen Lesch-Nyhan-Syndrom, das durch eine Defizienz von HGPRT (Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase) ausgelöst wird. HGPRT ist das Enzym, das verbrauchte Purine recycelt. Da Purine bei diesen Patienten nicht wiederverwertet werden können, fallen massive Mengen an Harnsäure an, die zu chronischer Hyperurikämie und Urikosurie führen.
Etwa 10% aller Nierensteine sind Harnsäuresteine.
Gichtanfall als Teil des Tumorlyse-Syndroms
Der Beginn der Therapie einer Leukämie, eines Lymphoms oder eines Tumors kann zum massiven, gleichzeitigen Untergang einer großen Zahl von Zellen führen. Eines der Probleme in dieser Situation ist der Abbau von DNA in großem Maßstab bei gleichzeitig eingeschränkter Nierenfunktion, sodass der akute Anstieg der Harnsäurekonzentration häufig zu einem Gichtanfall führt. In dieser speziellen und zeitlich begrenzten Situation kann ein Angriff durch Injektion einer aus einer anderen Spezies stammenden Uricase unter Umständen verhindert werden.